Pech in den Bergen: Wer im Fall der Fälle bezahlt, oder eben nicht! - Teil 3: Interview mit der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwältin Daniela Haeberli, selbst eine erfahrene Bergsportlerin, geht auf unsere Neutrass-Fragen zu Risiko, Verantwortung und Verhalten ein.
Bergsportarten boomen extrem. Sowohl im Sommer, als auch im Winter. Auch wenn man mit Experten unterwegs ist, die Risikoeinschätzung stellt eine grosse Herausforderung dar. Und wir hören immer öfters von tragischen Unfällen und herausfordernden, spektakulären Bergungen, lebensbedrohlichen Rettungsaktionen. Da stellt sich die Frage, ob es rechtens ist, sich dem Risiko auszusetzen und die Risikosportart zu betreiben.
Frau Haeberli, in Ihren Referaten erwähnen Sie das ‚Recht auf Risiko‘ als Menschenrecht. Steht das im Gesetz?
„Das Recht auf Risiko findet seinen Ursprung in den Menschenrechten, nämlich dem Recht auf Privatleben, woraus sich das Recht auf Selbstbestimmung ableitet", und Frau Haeberli betont, dass jeder Mensch über den eigenen Körper selbst bestimmen darf, inwiefern er oder sie sich einer Gefahr aussetzt. Ergo darf sich ein Mensch in Gefahr begeben.
Wenn das „Recht auf Risiko“ bejaht werden kann. Wie sieht es dann aber mit Gefährdung Anderer aus?
„Das Recht ist gewissermassen begrenzt“, sagt Daniela Haeberli. „Ich darf andere Personen nicht in Gefahr bringen“.
Durch dieses persönliche „Recht auf Risiko“ werden doch auch Rettungskräfte gezwungen, sich in riskante, lebensbedrohliche Situationen zu begeben.
„Rettungskräfte setzen sich eigenverantwortlich dieser Gefahr aus“, meint Daniela Haeberli. „Ist die Rettung verantwortbar oder nicht? Diese Frage muss sich die Rettungskraft stellen, und ist nicht verpflichtet eine Rettung durchzuziehen, wenn beispielsweise die Witterung sich ändert oder andere Gefahren prägnant werden. Die Person, welche sich ursprünglich in eine Risikosituation begab, muss auch diese Konsequenz beurteilen und bei der Planung miteinbeziehen, dass nicht zwingend eine Rettung durchgeführt werden muss/kann.“
Wie kann man Fahrlässigkeit definieren und was unterscheidet sie von einem unglücklichen Zufall?
Die Staatsanwältin erläutert, nicht alle Unfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Ereignisse wie ein Steinschlag oder der Niedergang einer Lawine führen zu Unfällen ohne eine zwingend menschliche Ursache. Es handelt sich um einen unglücklichen Zufall.
Ist jedoch die Unfallursache auf Fahrlässigkeit zurückzuführen, liegt ein vorwerfbares Fehlverhalten vor, welches entsprechend strafbar ist: „Im Strafrecht sprechen wir hier von einer Sorgfaltspflichtverletzung, Art. 12 StGB. Die Sorgfaltspflicht wird mittels eines individuellen Massstabes festgelegt. Der Eintritt des Schadens muss vorhersehbar und vermeidbar gewesen sein, damit von Fahrlässigkeit gesprochen werden kann“ erklärt Haeberli.
Wie sieht die Haftung aus, wenn beispielsweise zwei Bergsteiger unterschiedlichen Niveaus zusammen am Berg unterwegs sind?
„Wichtig ist, zwischen Zivilrecht und Strafrecht zu unterscheiden: Ich spreche nur von strafrechtlichen Konsequenzen, hier reden wir auch nicht von Haftung, sondern von Verantwortlichkeit und es geht um die Frage, ob jemand einen Fehler gemacht hat“, präzisiert die Staatsanwältin.
„Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann kann ich grundsätzlich zur Verantwortung gezogen werden. Wenn die unerfahrene Person einfach mitgenommen wird und aufgrund mangelnder Erfahrung, Kondition, schlechter Ausrüstung verunfallt, dann kann ich womöglich verantwortlich gemacht werden, da ich über mehr Wissen und höhere Kompetenzen verfüge.“
Wie sieht die Haftung aus, wenn ein professioneller Bergführer eine Gruppe von „Laien“-Bergsteiger begleitet?
„Der Bergführer haftet aufgrund des Vertrags, welcher dieser mit den Gästen bei der Buchung des Bergführers eingeht. Er ist an die Verantwortung gebunden und übernimmt diese. Wiederum über einen individuellen Massstab wird auch hier die Verantwortlichkeit beurteilt“.
„Der Berg ist weder fair noch ungerecht. Er ist gefährlich.“ Was möchten Sie mit dieser Aussage bekräftigen?
„Bei diesem Zitat geht es mir in erster Linie um die Wahrnehmung der Eigenverantwortung. Das Recht auf Risiko muss eigenverantwortlich wahrgenommen und mit den Konsequenzen gelebt werden. Es gibt nicht immer einen Schuldigen beim Unfall am Berg. Das Element der Zufälligkeiten muss berücksichtigt werden, denn nicht immer steht menschliches Versagen im Vordergrund.“
Wir bedanken uns herzlich bei Frau Haeberli für die fachkundigen Ausführungen und wünschen Ihr einen erfolgreichen Berg-Sommer 2020!
Zudem: Bergsport trotz Corona: Sie dürfen Wandern gehen
Seit Montag, 22. Juni 2020, hat der Bundesrat die bisherigen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus weitgehend aufgehoben. Entsprechend sind Bergsportaktivitäten und auch Besuche in SAC-Hütten unter Befolgen von bestimmten Richtlinien wieder erlaubt. Hier finden Sie sämtliche Schutzkonzepte, Checklisten und News für das Praktizieren von Bergsportdisziplinen im Sommer 2020.
Zur Autorin: Eliane Müller ist verantwortlich für Kommunikation, Werbung und Events mit einem Master in „Communication, Management and Health“ der Universität Lugano sowie einem Master in „Marketing“ an der Virginia Tech University in Blacksburg/USA